Kapitel Drei
1
Das traurige an der Sache war, dass er, nach all den Affären und Lügen, ganz zu schweigen von den Scheidungsbedingungen, die Alan Page zwangen, wieder in einem schäbigen Apartment wie zu seiner Studentenzeit an der juristischen Fakultät zu leben, Tina immer noch liebte. Sie verkörperte für ihn, was er sich wünschte, wenn er einmal nicht an die Arbeit dachte. Ins Kino zu gehen half nicht, ein Buch lesen half auch nicht. Es half ihm nicht einmal, mit den Frauen ins Bett zu gehen, mit denen ihn seine wohlmeinenden Freunde zusammenbrachten. Die Frauen waren dabei das Schlimmste, denn immer stellte er Vergleiche an, und nie hielten sie diesen Vergleichen stand. Nun war Alan schon seit Monaten mit keiner Frau mehr zusammen gewesen.
Die Laune des Bezirksstaatsanwalts begann auf seine Mitarbeiter abzufärben. Letzte Woche hatte ihn sein erster Stellvertreter, Randy Highsmith, zur Seite genommen und ihm geraten, sich zusammenzunehmen. Aber nach zwölf Jahren Ehe, die er immer als gut angesehen hatte, war es sehr schwer, sich mit dem Junggesellendasein abzufinden. Es war das Gefühl des Betrogenseins, das ihm zu schaffen machte. Er hatte Tina nie schlecht behandelt oder sie angelogen, er hatte sie immer für die Person gehalten, der er restlos vertrauen konnte. Als er von ihrem geheimen Doppelleben erfuhr, war das einfach zu viel. Er zweifelte daran, dass er jemals wieder jemandem vertrauen konnte.
Alan fuhr in das Parkhaus und stellte den Wagen auf dem Platz ab, der für den Bezirksstaatsanwalt von Multnomah County reserviert war. Das ist eines der wenigen Dinge, die Tina bei der Scheidung nicht bekommen hat, dachte er bitter. Er spannte seinen Schirm auf und rannte über die Straße ins Gerichtsgebäude. Der starke Wind trieb den Regen unter den Schirm. Er war fast völlig durchnässt, als er das graue Steingebäude betrat.
Während er auf den Aufzug wartete, fuhr sich Alan mit der Hand durch das nasse Haar. Es war schon acht Uhr. Um ihn herum, in der Halle, befanden sich junge Anwälte, die sich Mühe gaben, wichtig zu erscheinen, ängstliche Prozessbeteiligte, die das Beste erhofften und das Schlimmste befürchteten, und ein oder zwei gelangweilt aussehende Richter. Alan war nicht in der Stimmung für eine nichtssagende Konversation. Als der Aufzug kam, drückte er auf den Knopf für den sechsten Stock und stellte sich nach hinten.
»Polizeichef Tobias möchte, dass Sie ihn anrufen«, sagte ihm die Empfangsdame, als er die Büroflucht betrat. »Er meinte, es sei wichtig.«
Alan dankte ihr und drückte das niedrige Gatter auf, das das Wartezimmer vom restlichen Bereich trennte. Sein Büro war in dem schmalen Flur das erste auf der rechten Seite.
»Polizeichef Tobias hat angerufen«, teilte ihm seine Sekretärin mit.
»Winona hat mir schon Bescheid gesagt.«
»Er klang ziemlich aufgeregt.«
Es war schwer, sich etwas vorzustellen, das William Tobias aufregen konnte. Der schlanke Polizeichef hatte offenbar das Gemüt eines Fleischerhunds. Alan schüttelte den Schirm aus und hängte seinen Regenmantel auf; dann setzte er sich hinter seinen ausladenden Schreibtisch und wählte die Nummer des Polizeipräsidiums auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Was gibt's?« wollte Alan wissen.
»Wir haben wieder eine.«
Es dauerte einen Moment, bis Alan wusste, wovon Tobias sprach.
»Ihr Name ist Victoria Miller. Sechsundzwanzig. Attraktiv, blond, Hausfrau. Keine Kinder. Ihr Mann arbeitet bei BRAND, GATES & VALCROFT, der Werbeagentur.«
»Gibt es eine Leiche?«
»Nein. Sie ist vermisst, aber wir wissen, dass er es war.«
»Die gleiche Mitteilung?«
»Auf dem Kopfkissen des Bettes. AUF EWIG UNVERGESSEN. Und wieder eine schwarze Rose.«
»Gab es diesmal irgendwelche Anzeichen eines Kampfes?“
»Nein. Genau wie bei den anderen. Es ist, als ob sie sich in Luft aufgelöst haben.«
Die beiden Männer schwiegen einen Augenblick.
»Die Zeitungen wissen immer noch nichts?«
»Wir haben Glück. Da es keine Leichen gibt, behandeln wir die Sache unter der Rubrik: Vermisste Personen. Aber ich weiß nicht, wie lange wir es noch geheim halten können. Die drei Ehemänner werden nicht ewig den Mund halten. Reiser, der Rechtsanwalt, ruft mich jeden Tag an, manchmal zwei-, dreimal, und Farrar, der Buchhalter, droht uns, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn wir nicht bald mit Ergebnissen aufwarten können.«
»Haben Sie etwas herausbekommen?«
»Nichts. Die Spurensicherung hilft uns auch nicht weiter. Es gibt keine Fasern oder Haare, die nicht von der Vermissten selbst stammen. Keine Fingerabdrücke. Das Papier, auf dem die Mitteilung steht, kann man an jeder Ecke kaufen. Die Rose ist eine gewöhnliche Rose. Ebenso die schwarze Farbe.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Wir überprüfen alles im Computer, außerdem habe ich Ross Barrow beauftragt, andere Bezirke sowie das FBI anzurufen.«
»Haben Sie mögliche Verbindungen zwischen den Opfern überprüft?«
»Sicher. Es gibt eine Reihe von offensichtlichen Übereinstimmungen. Die drei Frauen hatten ungefähr das gleiche Alter, gehörten der oberen Mittelklasse an, hatten keine Kinder, sie waren Hausfrauen und mit erfolgreichen Ehemännern verheiratet. Aber es gibt keine Verbindung der Opfer untereinander.«
Tobias' Beschreibung konnte auch auf Tina passen. Alan rieb sich die Augen.
»Wie steht es mit Fitness-Klubs, bevorzugte Geschäfte, Lesezirkel? Haben sie denselben Arzt oder Zahnarzt?« fragte Alan.
»Daran und an tausend andere Dinge haben wir schon gedacht.«
»Ja, das glaube ich Ihnen. In welchen Abständen schlägt er zu?“
»Es sieht so aus, als würde er einmal pro Monat aktiv. Wir haben jetzt... Anfang Oktober? Mrs. Farrar verschwand im August, Mrs. Reiser im September.«
»Mein Gott. Wir sollten uns schnell etwas einfallen lassen. Die Presse frisst uns mit Haut und Haaren, wenn sie erst einmal dahinterkommt.«
»Wem sagen Sie das!«
Alan seufzte. »Danke für den Anruf, und halten Sie mich auf dem laufenden!«
»Natürlich.«
Alan legte auf und drehte seinen Stuhl so, dass er zum Fenster hinaussehen konnte. Gott im Himmel, wie hatte er es satt. Den Regen und dieses Arschloch mit seinen schwarzen Rosen, Tina und überhaupt alles. Er wünschte sich an einen sonnenüberfluteten Strand, wo es keine Frauen und keine Telefone gab und die einzige Entscheidung, die er treffen musste, den Schutzfaktor seiner Sonnencreme betraf.
2
Betsy Tanenbaum war zwar nie als Schönheit bezeichnet worden, doch die meisten Männer fanden sie attraktiv. Auch nannte kaum jemand sie Elisabeth. »Elisabeth«, darunter stellte man sich eine kühle, Aufsehen erregende Schönheit vor. Eine »Betsy« sah nett aus, hatte ein klein wenig mehr als das Idealgewicht, war tüchtig, und es machte Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Betsy passte genau in dieses Bild.
Eine Betsy durfte es sich auch leisten, manchmal etwas erschöpft zu sein. Genauso fühlte sich Betsy Tanenbaum, als ihre Sekretärin sie anrief. Sie war gerade dabei gewesen, die Unterlagen des Morales-Falles in ihre Aktentasche zu stecken. Sie wollte sie am Abend noch durchgehen, nachdem sie Kathy aus dem Kinderhort geholt, ihr das Abendessen zubereitet, das Haus in Ordnung gebracht und mit Kathy gespielt hatte.
»Ich habe keine Zeit, Ann. Ich bin schon spät dran.«
»Er behauptet, es sei wichtig.«
»Es ist immer wichtig. Wer ist es?“
»Das sagt er nicht.«
Betsy seufzte und schaute auf die Uhr. Es war schon halb fünf. Wenn sie Kathy um fünf aus dem Hort abholte und dann noch zum Einkaufen hetzte, war das Essen nicht vor sechs fertig. Auf der anderen Seite, wenn sie keine Klienten bekam, dann hatte sie bald den ganzen Tag Zeit einzukaufen. Schließlich nahm sie das Gespräch doch an.
»Betsy Tanenbaum.«
»Vielen Dank, dass Sie den Anruf entgegennehmen. Mein Name ist Martin Darius.« Betsy hielt die Luft an. Jeder in Portland wusste, wer Martin Darius war. »Wann machen ihre Angestellten Feierabend?«
»Zwischen fünf und viertel nach fünf. Warum?«
»Ich muss heute noch mit Ihnen sprechen, und ich will nicht, dass jemand davon erfährt, auch ihre Sekretärin nicht. Wäre Ihnen sechs Uhr recht?«
»Eigentlich nicht. Es tut mir leid. Könnten wir uns vielleicht morgen treffen? Da ist mein Terminkalender noch ziemlich frei.«
»Wie hoch ist normalerweise Ihr Honorarsatz, Mrs. Tanenbaum?«
»Einhundert Dollar die Stunde.«
»Wenn Sie bereit sind, sich um sechs Uhr mit mir zu treffen, dann zahle ich Ihnen zweitausendfünfhundert Dollar. Wenn ich mich entscheiden sollte, Sie zu engagieren, werden Sie ein überaus großzügiges Honorar erhalten.«
Betsy atmete tief durch. Sie musste sich zusammennehmen, um das Angebot nicht spontan anzunehmen, aber sie wollte erst mit Rick sprechen. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, so viel Geld auszuschlagen oder einen so angesehenen Klienten abzulehnen.
»Würden Sie bitte einen Moment warten, Mr. Darius? Ich habe noch eine andere Verpflichtung, und ich möchte sehen, ob die jemand anderes für mich übernehmen kann.«
»Ich warte.«
Betsy rief Puck Tanenbaum auf der anderen Leitung an. Er war in einer Besprechung, aber seine Sekretärin stellte sie durch.
»Was ist los, Betsy? Ich bin sehr beschäftigt«, meldete sich Rick, wobei er keinen Hehl daraus machte, dass er aufgebracht war.
»Es tut mir leid, wenn ich dich störe, aber hier ist ein Notfall eingetreten. Ich muss mich dringend um sechs mit einem Klienten treffen. Kannst du Kathy vom Kinderhort abholen?«
»Was ist mit deiner Mutter?«
»Sie spielt heute bei einer Freundin Bridge, und ich habe die Telefonnummer nicht.«
»Sag dem Klienten, dass du dich morgen mit ihm triffst.«
»Das geht nicht. Es muss heute Abend sein.«
»Verdammt, Betsy, als wir uns getrennt haben, hast du versprochen, dass so etwas nicht vorkommt.«
»Es tut mir wirklich leid«, entgegnete Betsy und ärgerte sich ebenso über sich selbst, weil sie ihn gefragt hatte, wie über Rick, weil er eine solche Affäre daraus machte.
»Ich würde dich ja nicht bitten, aber ich brauche deine Hilfe, dies eine Mal. Bitte.«
Rick schwieg einen Augenblick.
»In Ordnung«, lenkte er ärgerlich ein. »Wann muss ich dort sein?«
»Sie schließen um sechs. Ich bin dir wirklich dankbar.«
Bevor Rick seine Meinung ändern konnte, legte Betsy schnell auf.
»Sechs Uhr geht in Ordnung, Mr. Darius. Wissen Sie, wo mein Büro ist?«
»Ja«, antwortete Darius, und die Verbindung wurde unterbrochen. Betsy legte den Hörer auf und sank in ihrem Sessel zusammen. Sie fragte sich, welche Art von Geschäften ein Mann wie Martin Darius wohl mit ihr machen wollte.
Betsy schaute auf die Uhr. Es war fünf nach halb sieben, und Darius war noch immer nicht da. Sie war aufgebracht, dass er sie so lange warten ließ, nachdem sie sich solche Umstände gemacht hatte, aber sie war noch nicht aufgebracht genug, um ein Zweitausendfünfhundert-Dollar-Honorar in den Wind zu schreiben. Darüber hinaus hatte ihr die Wartezeit Gelegenheit gegeben, an dem Morales-Fall zu arbeiten. Sie beschloss, Darius noch eine halbe Stunde zu geben. Der Regen klatschte gegen das Fenster hinter ihr. Betsy gähnte und drehte ihren Sessel, so dass sie in die Nacht hinaussehen konnte. Die meisten der Büros im Gebäude gegenüber waren schon verlassen. Sie konnte beobachten, wie die Putzfrauen mit ihrer Arbeit begannen. Um die Zeit war dieses Gebäude wahrscheinlich genauso verlassen, bis auf die notorischen Nachtarbeiter. Die Stille beunruhigte sie etwas. Als sie sich wieder umdrehte, stand Darius in der Tür. Betsy fuhr zusammen.
»Mrs. Tanenbaum?«
Betsy stand auf. Sie war selbst fast einen Meter achtzig, doch sogar sie musste zu Darius hochblicken. Er streckte seine Hand aus, wobei exquisite goldene Manschettenknöpfe sichtbar wurden. Seine Hand fühlte sich kalt an, und sein Benehmen war distanziert. Betsy glaubte nicht an Charisma, aber dieser Mann hatte etwas an sich, das bei Fernsehaufnahmen oder Zeitungsfotos nicht rüberkam.
»Es tut mir leid, wenn ich etwas geheimnisvoll getan habe, Mrs. Tanenbaum«, entschuldigte sich Darius, während er Platz nahm.
»Für zweitausendfünfhundert Dollar könnten Sie meinetwegen eine Maske tragen, Mr. Darius.«
Darius grinste. »Mir gefallen Anwälte mit Sinn für Humor. Ich habe bisher noch nicht viele davon getroffen.«
»Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie meist mit Wirtschaftsanwälten und Finanzberatern zu tun haben. Strafverteidiger halten ohne Humor nicht lange durch.«
Darius lehnte sich in seinem Sessel zurück und ließ seinen Blick durch Betsys vollgestopftes Büro gleiten. Es war ihr erstes eigenes Büro, und es war klein und schäbig. Dieses Jahr hatte sie zum ersten Mal genug Geld verdient, um darüber nachzudenken, etwas Größeres zu mieten. Wenn sie jemals das Geld aus der Abtreibungsgeschichte bekommen würde, dann wollte sie wirklich umziehen, aber der Fall lag beim Berufungsgericht, und möglicherweise sah sie nie einen Penny.
»Ich war vor kurzem bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung für die Oper in Portland«, erzählte Darius. »Waren Sie auch dort?«
»Leider nein.“
»Zu schade. Ich hatte ein interessantes Gespräch mit Maxine Silver. Sie gehört zum Ensemble. Eine Frau mit festen Ansichten. Wir sprachen über Greigs Buch. Haben Sie es gelesen?«
»Der Roman von dem Massenmörder?« fragte Betsy und wunderte sich über die Richtung, die das Gespräch nahm.
Darius nickte.
»Ich habe einige Besprechungen gesehen, aber ich habe keine Zeit, etwas anderes als juristische Fachzeitschriften zu lesen. Außerdem entspricht es nicht meinem Geschmack.«
»Beurteilen Sie das Buch bitte nicht nach seinem Autor, Mrs. Tanenbaum. Es ist wirklich sehr gut geschrieben. Dieser Art von Büchern gehört die Zukunft. Der Autor behandelt den Umstand der Andersartigkeit des Protagonisten so einfühlsam, dass man fast vergessen kann, was Greig diesen Kindern angetan hat. Trotzdem ist Maxine Silver der Meinung, dass es nicht hätte veröffentlicht werden dürfen, einzig deshalb, weil Greig es geschrieben hat. Was meinen Sie?«
»Ich bin gegen Zensur. Ich würde ein Buch nicht verbieten, nur weil ich etwas gegen die Person habe, die es geschrieben hat.«
»Wenn der Verlag sich dem Druck von, sagen wir, Frauengruppen, beugen und das Buch vom Markt nehmen müsste, würden Sie dann Greig vertreten?«
»Mr. Darius...«
»Nennen Sie mich Martin!«
»Stellen Sie diese Fragen aus einem bestimmten Grund, oder machen Sie nur Konversation?«
»Lassen Sie mir den Spaß.«
»Ich würde Greig vertreten.«
»Obwohl Sie wissen, dass er ein Monster ist?«
»Ich würde ein Prinzip vertreten, Mr. Darius. Die Freiheit der Kunst. Hamlet wäre immer noch Hamlet, auch wenn Charles Manson ihn geschrieben hätte.«
»Gut gekontert«, gestand Darius ein und zog einen Scheck aus seiner Tasche.
»Sagen Sie mir, was Sie davon halten, wenn Sie ihn gesehen haben«, sagte er und legte den Scheck auf den Schreibtisch. Der Scheck war auf Elisabeth Tanenbaum ausgestellt, und die Summe belief sich auf 58.346,47 Dollar. Etwas an der Summe kam ihr vertraut vor. Betsy runzelte die Stirn, dann errötete sie, als ihr klar wurde, dass dies der Betrag ihrer gesamten Einnahmen aus dem letzten Jahr war. Das konnte Darius aber nur wissen, wenn er Zugang zu ihrer Steuererklärung hatte.
»Ich denke, jemand hat in meiner Privatsphäre herumgeschnüffelt«, keuchte Betsy böse, »und das gefallt mir überhaupt nicht.«
»Zweitausendfünfhundert Dollar sind ihr Honorar für die Beratung heute Abend«, erklärte Darius, wobei er Betsys Ärger ignorierte. »Der Rest ist ein Überschuss. Legen Sie es an, und behalten Sie die Zinsen. Möglicherweise bitte ich Sie eines Tages, das Geld zurückzuzahlen. Oder ich bitte Sie, mich zu vertreten. In diesem Fall können Sie von mir so viel verlangen, wie Sie glauben, dass es für den Fall angebracht ist, auch weit mehr als diesen Vorschuss.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt für Sie arbeiten will, Mr. Darius.«
»Warum? Weil ich Erkundigungen über Sie eingeholt habe? Ich verstehe, dass Sie verärgert sind, aber ein Mann in meiner Position kann kein Risiko eingehen. Es gibt nur eine Ausfertigung des Berichts über Sie, und die werde ich Ihnen zusenden, egal, wie unser Treffen ausgeht. Sie werden sich geschmeichelt fühlen, wenn Sie lesen, was Ihre Kollegen über Sie sagen.«
»Warum geben Sie diesen Betrag nicht der Kanzlei, die auch Ihre Geschäfte abwickelt?«
»Ich möchte diese Sache nicht mit meinen Wirtschaftsanwälten besprechen.«
»Wurden Sie in Zusammenhang mit einem Verbrechen gebracht?«
»Warum besprechen wir das nicht erst dann, wenn es notwendig ist?«
»Mr. Darius, es gibt eine Reihe von hervorragenden Strafverteidigern in Portland, warum also ich?«
Darius wirkte amüsiert. »Sagen wir einfach, ich bin der Meinung, dass Sie mich am besten vertreten könnten, wenn es denn notwendig werden sollte.“
»Ich bin ein bisschen argwöhnisch, wenn ich einen Fall unter diesen Voraussetzungen übernehmen soll.«
»Das müssen Sie nicht. Sie gehen keine Verpflichtung ein. Nehmen Sie den Scheck und die Zinsen. Wenn es soweit ist und Sie zu der Entscheidung kommen, dass Sie mich nicht vertreten können, geben Sie mir das Geld zurück. Doch ich kann Ihnen versichern, wenn man mich anklagt, dann bin ich unschuldig, und Sie können meine Verteidigung im vollen Bewusstsein meiner Unschuld übernehmen.«
Betsy sah sich den Scheck an. Das war fast viermal so viel wie das dickste Honorar, das sie je erhalten hatte, und Martin Darius war nicht die Art von Klient, die ein vernünftiger Mensch ablehnen konnte.
»Solange klar ist, dass ich keine Verpflichtung eingehe«, wiederholte Betsy.
»Natürlich. Ich schicke Ihnen eine Abmachung über den Vorschuss, in der die einzelnen Punkte festgelegt sind.«
Sie gaben sich die Hand, und Betsy begleitete Darius nach draußen. Dann schloss sie die Tür und ging wieder in ihr Büro. Als Betsy sicher sein konnte, dass Darius weg war, küsste sie den Scheck, stieß einen kleinen Freudenschrei aus und wirbelte durch das Büro. Einer Betsy war es sicher erlaubt, von Zeit zu Zeit ein etwas ungebührliches Verhalten zu zeigen.
3
Betsy war bester Laune, als sie ihren Kombi auf dem Abstellplatz parkte. Es war weniger das Geld als vielmehr der Umstand, dass Martin Darius sie allen anderen Strafverteidigern in Portland vorgezogen hatte. Mit Fällen wie dem Hammermill-Prozess wurde sie bekannt, aber die Klienten mit dem großen Geld gingen immer noch zu den Verteidigern mit den großen Namen. Bis heute Abend.
Rick Tanenbaum öffnete die Tür, bevor Betsy den Schlüssel aus ihrem Etui gefischt hatte. Ihr Mann war ein paar Zentimeter kleiner als sie. Er war schlank, und sein Haar war so geschnitten, dass es in die hohe Stirn fiel. Seine zarte Haut und die strahlend blauen Augen ließen ihn jünger als sechsunddreißig erscheinen. Rick war immer überkorrekt. Selbst jetzt, da er sich entspannen konnte, trug er seine Krawatte und das Jackett.
»Verdammt, Betsy, es ist fast acht Uhr. Wo bist du gewesen?«
»Mein Klient ist erst um halb sieben gekommen. Es tut mir leid.«
Bevor Rick etwas sagen konnte, kam Kathy den Flur entlang gestürmt. Betsy legte ihre Sachen auf einen Stuhl und hob ihre sechsjährige Tochter hoch.
»Ich habe ein Bild gemalt, das will ich dir zeigen«, rief Kathy und kämpfte, um herunterzukommen, sobald ihre Mutter sie einmal gedrückt und ihr einen Kuss gegeben hatte.
»Bring es in die Küche!« sagte Betsy und ließ Kathy herunter. Dann zog sie ihr Jacke aus. Kathy rannte in ihr Zimmer, wobei ihr langes blondes Haar hinter ihr herflog.
»Bitte, mach das nicht noch mal mit mir, Betsy!« hob Rick an, als Kathy weit genug entfernt war, um nichts mehr davon mitzubekommen. »Ich bin mir wie ein Idiot vorgekommen. Ich hatte gerade eine Besprechung mit Donovan und drei anderen Anwälten und musste ihnen sagen, dass ich leider nicht länger bleiben könne, weil ich meine Tochter vom Kinderhort abholen müsse. Wir waren uns darüber einig, dass dies zu deinen Pflichten gehört.«
»Es tut mir leid, Rick. Mutter war nicht erreichbar, und ich musste diesen Klienten treffen.«
»Ich habe auch Klienten und eine Stellung in der Firma, die ich ausfüllen muss. Ich versuche, Teilhaber zu werden, und das werde ich nicht schaffen, wenn man mir nachsagt, dass man sich nicht auf mich verlassen kann.«
»Mein Gott, Rick. Wie oft habe ich dich um so etwas gebeten? Sie ist schließlich auch deine Tochter. Donovan weiß, dass wir ein Kind haben. Solche Sachen passieren halt.«
Kathy stürmte in die Küche, und sie brachen ihren Streit ab.
»Das ist das Bild, Mama«, meldete sich Kathy und hielt ihr ein großes Blatt hin. Betsy musterte das Bild genau, während Kathy sie erwartungsvoll anschaute. Sie sah in ihren kleinen Jeans und dem gestreiften T-Shirt mit langen Ärmeln hinreißend aus.
»Nun, Kathy Tanenbaum«, sagte Betsy, das Bild auf Armeslänge von sich haltend, »dies ist das phantastischste Bild eines Elefanten, das ich je gesehen habe.«
»Das ist eine Kuh, Mama.«
»Eine Kuh mit Rüssel?«
»Das ist der Schwanz.«
»Ach so. Bist du sicher, dass es kein Elefant ist?«
»Hör auf, mich zu ärgern!« erklärte Kathy ernsthaft.
Betsy lachte und gab ihrer Tochter das Bild mit einem Kuss zurück. »Du bist der größte Künstler seit Leonardo da Vinci. Sogar noch größer, aber jetzt lass mich das Abendessen machen.«
Kathy rannte in ihr Zimmer zurück. Betsy stellte eine Pfanne auf den Herd und nahm eine Tomate und einen Kopfsalat.
»Wer ist dieser wichtige Klient?« wollte Rick wissen.
Betsy mochte es Rick nicht sagen, vor allem, da Darius seinen Besuch geheim halten wollte. Doch sie fühlte, dass sie Rick eine Antwort schuldig war.
»Das ist absolut vertraulich. Schwörst du, es für dich zu behalten, wenn ich es dir sage?«
»Natürlich.«
»Martin Darius hat mir heute Abend einen Vorschuss gegeben«, sagte sie mit breitem Grinsen.
»Martin Darius?« fragte Rick ungläubig. »Warum sollte er dich beauftragen? PARISH, MARQUETTE & REEVES nehmen seine Rechtsangelegenheiten wahr.«
»Offensichtlich ist er der Meinung, dass auch ich in der Lage bin, ihn zu vertreten«, gab Betsy zurück und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie Ricks Reaktion verletzt hatte.
»Du bist kein Wirtschaftsanwalt.«
»Ich glaube nicht, dass es um Wirtschaftssachen geht.«
»Was dann?«
»Hat er nicht gesagt.«
»Wie ist Darius?«
Betsy dachte über die Frage nach. Wie war Darius? »Unheimlich«, antwortete sie, gerade als Kathy wieder in die Küche kam. »Er gibt sich geheimnisvoll, und er will, dass man weiß, wie mächtig er ist.«
»Was kochst du, Mama?«
»Roastbeef, meine Kleine.« antwortete Betsy, nahm ihre Tochter auf den Arm und kitzelte sie im Nacken, bis sie protestierte. »Nun verschwinde, oder das Essen wird nie fertig.«
Betsy setzte Kathy ab. »Möchtest du zum Essen bleiben?« fragte sie Rick. Er machte einen unzufriedenen Eindruck und schaute auf die Uhr.
»Danke, aber ich muss noch einmal ins Büro.«
»In Ordnung. Nochmals vielen Dank, dass du Kathy abgeholt hast. Ich weiß, wie beschäftigt du bist, und ich rechne es dir hoch an.«
»Nun, ja. Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe. Es ist nur...«
»Ich weiß«, lenkte Betsy ein.
Rick machte den Eindruck, als wolle er noch etwas sagen, aber stattdessen ging er zur Garderobe und nahm seinen Regenmantel.
»Viel Glück mit Darius«, wünschte Rick ihr, als er das Haus verließ. Betsy machte die Tür hinter ihm zu. Sie hatte den neidischen Unterton in Ricks Stimme durchaus mitbekommen und bereute jetzt schon, ihm von ihrem neuen Klienten erzählt zu haben. Sie hätte es wissen müssen. Es wäre besser gewesen, ihm nicht zu sagen, wie gut sie allein zurechtkam.
»Doch es dauert seine Zeit, ein Floß zu bauen, selbst wenn man so geschickt und ausdauernd ist wie der kleine Holzfäller, und als die Nacht hereinbrach, war die Arbeit noch nicht getan. So suchten sie sich unter den Bäumen einen gemütlichen Platz und schliefen bis zum Morgen. Und Dorothy träumte von der Stadt und dem guten Zauberer von Oz, der sie schon bald wieder nach Hause bringen würde.
Und nun«, sagte Betsy, schloss das Buch und legte es neben Kathys Bett, »ist es für meinen kleinen Zauberer an der Zeit zu schlafen.«
»Nur noch ein Kapitel«, bettelte Kathy.
»Nein, kein weiteres Kapitel mehr«, erklärte Betsy bestimmt und nahm Kathy in den Arm. »Ich habe dir schon eins mehr vorgelesen, als abgemacht war. Jetzt ist Schluss.«
»Du bist gemein, Mama«, beschwerte sich Kathy mit einem Lächeln.
»Das ist wirklich schlimm. Du hast die schlechteste Mutter der Welt abbekommen und kannst nichts dagegen machen.« Betsy küsste Kathys Stirn. »Jetzt schlaf schön. Bis morgen.«
»Nacht, Mama.«
Kathy drehte sich auf die Seite und zog Oliver, einen großen Stoffskunk, in die richtige Position an ihre Brust.
»Nacht, Liebling.«
Betsy schloss die Tür von Kathys Zimmer und ging in die Küche, um den Abwasch zu machen. Obwohl sie dies ihren feministischen Freundinnen gegenüber nie zugegeben hätte, liebte sie das Geschirrspülen. Für sie war das die perfekte Entspannung. Der Tag einer Anwältin war voll Stress, und es gab tausend unlösbare Probleme. Geschirr abzuwaschen war dagegen eine überschaubare Aufgabe, die Betsy jederzeit lösen konnte. Der Erfolg der Arbeit war jedes Mal sofort sichtbar. Und sie brauchte ein Erfolgserlebnis, nachdem sie Puck getroffen hatte.
Sie wusste, warum er verärgert war. Rick war an der Universität der absolut Beste gewesen, und DONOVAN, CHASTAIN & MILLS hatten ihn mit einem dicken Gehalt und dem Versprechen, ihn bald zum Teilhaber zu machen, in ihre zweihundert Anwälte umfassende Knochenmühle gelockt. In der Firma hatten sie ihn wie einen Hund behandelt. Die Teilhaberschaft hatten sie ihm wie einen Knochen vor die Nase gehalten, aber so, dass er für Rick unerreichbar blieb. Als es auch letztes Jahr, gerade als sie ihre Karriere begann, nichts geworden war, hatte dies seinem Selbstbewusstsein einen vernichtenden Schlag versetzt. Ihre zehnjährige Ehe hatte diesen Schlag nicht ausgehalten.
Als Rick ihr vor zwei Monaten sagte, dass er sie verlassen würde, war Betsy wie vor den Kopf gestoßen gewesen. Sie wusste um die Probleme zwischen ihnen, aber sie hatte nie daran gedacht, dass er sie verlassen könnte. Warum konnte er ihr den Erfolg nicht gönnen? Hatte er sich im Laufe der Zeit verändert, oder war er immer schon so selbstherrlich gewesen? Betsy fiel es schwer zu glauben, dass Ricks Liebe so zerbrechlich war, dass er ihren Erfolg nicht ertragen konnte, aber sie war auch nicht bereit, ihre Karriere für sein Ego aufzugeben. Warum auch? Sie war Rick ebenbürtig, und er musste das ihrer Ansicht nach akzeptieren. Wenn er dies nicht konnte, dann konnte sie nicht seine Frau bleiben. Wenn er sie aber liebte, dann konnte das nicht so schwer sein. Sie war stolz auf seine Erfolge. Warum konnte er es nicht auch auf ihre sein?
Betsy nahm sich ein Glas Milch und machte das Licht aus. Die Küche versank wie das restliche Haus in anheimelnde Dunkelheit Betsy nahm ihr Glas mit zum Küchentisch und setzte sich. Sie trank einen Schluck und blickte schläfrig aus dem Fenster. Die meisten Häuser in der Nachbarschaft waren dunkel. Die Straßenlaterne warf einen bleichen Schein auf eine Ecke des Vorgartens. Es war ganz still, jetzt, da Rick nicht da und Kathy eingeschlafen war. Kein Geräusch drang von der Straße herein.
Betsy wusste, das, was Rick heute für sie getan hatte, war für Ehemänner, die von ihren Frauen getrennt lebten, nicht üblich. Aber Rick hatte es für Kathy getan, weil er sie liebte - und Kathy liebte Rick. Betsy war sich klar darüber, dass die Trennung für ihre Tochter sehr hart gewesen war. Doch es gab Momente wie jetzt, wo es so still im Haus und Betsy allein war, da fehlte Rick ihr selbst auch. Sie wusste nicht, ob sie ihn immer noch liebte, aber sie erinnerte sich daran, wie schön es manchmal mit ihm gewesen war. Allein schlafen zu gehen war das Schlimmste daran. Sie vermisste es, mit ihm zu schlafen, doch mehr noch fehlten ihr das Schmusen und die Gespräche im Bett. Manchmal glaubte sie auch daran, sie beide könnten noch einmal neu anfangen. Heute Abend, bevor Rick ging, war sie sicher gewesen, dass er ihr etwas hatte sagen wollen. Aber was? Und wenn er sie fragte, ob sie zu ihm zurückkäme, was würde sie antworten? Doch er war derjenige gewesen, der nach zehn Ehejahren alles hinter sich gelassen hatte, sein Kind und ihr gemeinsames Leben. Sie waren eine Familie gewesen, aber Ricks Verhalten hatte ihr gezeigt, dass ihm dies nichts bedeutete.
In der Nacht weinte sie im Bett, bis sie nicht mehr weinen konnte. Dann drehte sie sich auf die Seite und starrte das Hochzeitsbild an. Rick grinste darauf. Er hatte ihr damals gesagt, dass er noch nie so glücklich gewesen sei. Und auch sie war so glücklich gewesen, dass sie es nicht fassen konnte. Wie konnte ein solches Gefühl einfach verschwinden?